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Predigt zum Ersten Advent im Kiliansdom zu Würzburg, 28.11.2021

„Mehr Fortschritt wagen“ – mit Gott!

Bei der Messfeier am Ersten Adventssonntag um 12.00 Uhr im St. Kiliansdom, die von den Landfrauen aus Landkreis und Stadt Würzburg mitgestaltet wurde, sagte Domkapitular Clemens Bieber mit Verweis auf den Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung „Mehr Fortschritt wagen“: „Wer aus dieser Hoffnung lebt, der wird mit klarem Blick erkennen, was falsch läuft, der kann Zuversicht verbreiten und andere motivieren ‚mehr Fortschritt zu wagen‘ in Richtung einer lebenswerten Zukunft, die uns nicht eine Ideologie oder ein Parteiprogramm eröffnet, sondern Gott mit seiner Botschaft, die uns durch Jesus nahe kam. Insofern ermutigt uns der Advent ‚mehr Fortschritt zu wagen‘ und sich mutig einzusetzen für eine bessere, menschlichere Welt, die Gott ermöglicht.

Die Predigt im Wortlaut:

„Mehr Fortschritt wagen“ – eine ansprechende und mitreißende Überschrift, mit der die künftige Bundesregierung, die sogenannte „Ampel-Koalition“, ihr Regierungsprogramm überschrieben hat.
„Mehr Fortschritt wagen“ – damit will ich keineswegs einer Sicht der Dinge das Wort reden, wonach bisher alles falsch gewesen sei.
„Mehr Fortschritt wagen“ – macht aber deutlich, dass es grundlegenden Änderungsbedarf gibt im Leben des Einzelnen wie auch im Zusammenleben in unserer Gesellschaft und ebenso in der weltweiten Völkergemeinschaft.
„Mehr Fortschritt wagen“ – macht für mich deutlich, dass zu viele Menschen zu lange auf der Stelle getreten sind und im Grunde keine wirklichen Veränderungen in ihrer Lebenshaltung wollten. Die großen Probleme unserer Zeit haben sich über Jahrzehnte angebahnt und haben ihren Grund in einer mangelhaften Lebenssicht und Gottvergessenheit.

Ich gebe zu, dass ich die 177 Seiten des Koalitionsvertrages noch nicht in allen Details gelesen habe. Bislang habe ich neben den Überschriften und den darin angedeuteten Themen erst einzelne Kapitel, deren Thematik mir wichtig erscheint, gelesen.

  • Auf den ersten Blick fällt mir auf, dass die Abfolge der Themen nicht mit dem Menschen und seinen Grundbedürfnissen beginnt, sondern mit der Digitalisierung.
  • Danach folgt im politischen Programm die große Herausforderung durch den Klimawandel. Gerade der Klimawandel macht deutlich, dass zu viele Menschen ebenso wie die Wirtschaft zulange nicht bereit waren zu erkennen, dass ihr Verhalten diese Situation heraufbeschworen hat.
  • In einem Kapitel sind dann Soziales, Arbeit, Gesundheit, Pflege neben Bauen und Wohnen erläutert.
  • Die Aufgaben im Blick auf „Kinder, Jugend, Familien und Senioren“ werden im Zusammenhang mit Bildung – und zwar vor allem kognitiver Bildung – erörtert.
  • Im Kapitel „Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt“ sind Themen wie „Bürgerrechte“, „Gleichstellung“, „Vielfalt“ und „gute Lebensverhältnisse“ angeführt.
  • Unter „Verantwortung für Europa und die Welt“ werden auch Migration und Integration genannt, wobei es meines Erachtens nicht nur um die Gestaltung eines Einwanderungslandes gehen sollte, sondern um weltweite soziale Gerechtigkeit, damit Menschen in ihrer Heimat ein gutes Leben erfahren und nicht die Not der Flucht vor Armut auf sich nehmen müssen. Ebenso gilt es, weltweit Gewalt zu unterbinden und nicht noch daran zu verdienen, denn das führt dazu, dass Menschen vor Krieg und Terror fliehen müssen.
  • Im letzten inhaltlichen Kapitel werden die Finanzen angesprochen, mit denen der angestrebte Fortschritt bewirkt werden soll.

Eine wahre Flut von Kommentaren haben sich in den vergangenen Tagen zu dem Projekt „mehr Fortschritt wagen“ geäußert. Einem Kommentator fiel z.B. auf, dass in dem vorgelegten Regierungsprogramm der Sport mehr Raum einnimmt als Religion. Ein anderer bemerkt, dass Umwelt- und Naturschutz stärker gewichtet werden als der Lebensschutz.

„Mehr Fortschritt wagen“ – setzt meines Erachtens voraus, dass wir uns zunächst besinnen, warum sich das Leben in den vergangenen Jahrzehnten so verändert hat, dass wir in wichtigen Bereichen heute zutiefst besorgt sind.

  • Es bedarf einer ehrlichen Analyse, wie sich die Veränderung der Sicht von Familie als Keimzelle menschlichen Miteinanders, und damit auch des Staates, auf das Leben von Kindern und Jugendlichen ausgewirkt hat.
  • Wir beklagen den krankmachenden Stress und die Ruhelosigkeit unserer Gesellschaft, erachten aber verbindliche Ruhetage bzw. stille Tage als unzeitgemäß und nicht zumutbar. Zugleich werden möglichst lange Ladenöffnungszeiten an allen Tagen als wirtschaftlich vorteilhaft und als Zeichen der Freiheit angesehen.
  • Die Gesundheitsversorgung vor allem unter finanziellen Aspekten zu betrachten wird zur Folge haben, dass immer mehr die Notwendigkeit der Aufwendungen für alte, intensiv pflegebedürftige oder behinderte Menschen in Zweifel gezogen wird – bis hin zu einer verstärkten Diskussion um aktive Sterbehilfe.
  • Die Stellung des Stammzellengesetzes und der verbrauchenden Embryonenforschung wird weniger unter dem Aspekt des darin grundgelegten menschlichen Lebens bewertet als unter dem Anspruch der Forschung.
  • Ebenso ist bei der Diskussion um das Thema Abtreibung weniger der Schutz des heranwachsenden Lebens im Blick, vielmehr soll die Freiheit über den Fortbestand zu entscheiden.

„Mehr Fortschritt wagen“ – die Überlegungen dazu wären eigentlich eine Chance, um sich klar zu werden, was in den vergangenen Jahrzehnten falsch gelaufen ist, und was zu tun wäre, um dem Leben eine gute Zukunft anzubahnen. Damit bin ich bei der biblischen Botschaft des Ersten Advents.

Als Lukas das Wort Jesu, das wir im Evangelium gehört haben, an seine Gemeinde weitergab, war diese einen schlimmen Schritt weiter als wir. Die Menschen fühlten sich hilflos, denn sie hatten bereits die Zerstörung Jerusalems erleben müssen, sie schienen hilflos dem Terror, der über sie hereinbrach, ausgeliefert.
Genau in dieser Situation erinnert Lukas an das Wort Jesu: „Wenn all das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.“ Diese Zuversicht schöpft der Christ also nicht aus politischen und philosophischen Programmen und Konzepten, sondern aus dem Wort, der Zusage Christi.

Es darf deshalb jetzt nicht nur um einige verbesserte Verhaltensweisen im Blick auf den Umgang mit der natürlichen Umwelt oder im Blick auf den Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen gehen und um eine Modernisierung durch Digitalisierung und künstliche Intelligenz. Es muss uns um die grundsätzliche Sicht von Leben und des Menschen in seiner Verantwortung für das Leben gehen. Es sollte um eine veränderte, positive Lebenseinstellung gehen, die nicht nur materiellen Erfolg im Blick hat. Es muss vor allem um die Grundhaltung gehen, aus der heraus wir leben und unsere Aufgaben angehen.

Antoine de Saint-Exupéry hat einmal geschrieben: „Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Leute zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“

Es sollte also nicht nur um Ökologie, Ökonomie, Digitalisierung und Vielfalt gehen, vielmehr darum, in den Menschen die Sehnsucht nach einem verheißungsvollen und wertvollen Leben zu wecken und wachzuhalten.

Deshalb hat Jesus immer wieder zu Wachsamkeit und Bereitschaft gemahnt, sich auf das Kommen Gottes und die Verwandlung der Welt vorzubereiten. Er wollte den Menschen zum Leben verhelfen, indem er sie auf den Weg zu Gott führt. Deshalb wollte er sie zur Besinnung bringen, sie aus aller Selbstbezogenheit herausreißen, die nur eigene Interessen im Blick hat. Er wollte die Menschen hellwach machen, damit sie Gott suchen und sich lossagen von aller Gottlosigkeit und allem Egoismus. Er wollte in den Menschen die Sehnsucht nach dem größeren Wert des Lebens wecken, der sich nicht in Wirtschaftsdaten ausdrücken lässt.

Wenn wir mit diesem Sonntag die Zeit des Advents beginnen, sollte uns klar sein, worum es geht: eben nicht nur darum, mit Rührung zu singen „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit …“, sondern in dieser Erwartung das Leben und die Welt zu sehen mit all ihren bedenklichen und gefährlichen Entwicklungen; aber deswegen zu verzweifeln hilft nicht, sondern umso mehr auf Gott zu schauen, mit IHM zu rechnen und SEINER Botschaft entsprechend ans Werk zu gehen.

Ich bin mir sicher, die Hoffnung, die in Gott gründet, kann auch dort tragen, wo der Optimismus wankt, Unsicherheit aufkommt und die Sorge um die Unbeständigkeit dieser Welt und ihrer Ordnungen uns Angst macht.

  • Verheißen ist uns nicht, dass wir als Christen und als Gemeinde Jesu von Bedrohungen, von den kleinen und großen Weltuntergängen verschont und unberührt bleiben werden.
  • Verheißen ist uns nicht, dass wir ohne Angst und ohne Erschütterungen und Schmerz davonkommen.
  • Aber verheißen ist uns, dass mitten im Untergang auch dessen, was uns lieb und teuer war und ist, die neue Welt Gottes aufgeht.
  • Verheißen ist uns, dass dort, wo alles zu vergehen und zu zerfallen scheint, Jesus Christus kommt und dass, wer auf IHN schaut, auch dort Rettung zu erwarten hat, wo es – irdisch gesprochen – keine Rettung und keinen Ausweg mehr zu geben scheint.

Wer aus dieser Hoffnung lebt, der wird mit klarem Blick erkennen, was falsch läuft, der kann Zuversicht verbreiten und andere motivieren „mehr Fortschritt zu wagen“ in Richtung einer lebenswerten Zukunft, die uns nicht eine Ideologie oder ein Parteiprogramm eröffnet, sondern Gott mit seiner Botschaft, die uns durch Jesus nahe kam. Insofern ermutigt uns der Advent „mehr Fortschritt zu wagen“ und sich mutig einzusetzen für eine bessere, menschlichere Welt, die Gott ermöglicht.

Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de

Text zur Besinnung

Komm herunter, großer Gott,
damit es mit uns wieder aufwärts geht.

Komm herunter und werde Mensch,
damit wir wieder lernen Mensch zu sein.

Komm herunter und schenke uns deine Liebe,
damit wir wieder liebevoll sind.

Komm herunter und richte uns auf,
damit wir wieder zuversichtlich sind.

Komm herunter und leite uns,
damit wir wieder wissen, wie es weiter geht.

Komm herunter, großer Gott,
damit es mit uns wieder aufwärts geht.

(Autor unbekannt)